Eine Möglichkeit warum das so beschlossen werden soll ist, dass bis dahin eventuell eine 2. Welle auf den Weg gebracht wird?…nicht auszuschließen!
Deutscher Bundestag – Gesetzentwurf – 16.06.2020
Gesetzentwurf der Abgeordneten Christine Aschenberg-Dugnus, Konstantin Kuhle, Grigorios Aggelidis, Dr. Gero Hocker, Ulla Ihnen, Manuel Höferlin, Daniela Kluckert, Wolfgang Kubicki, Dr. Wieland Schinnenburg, Dr. Andrew Ullmann, Michael Theurer, Stephan Thomae, Renata Alt, Nicole Bauer, Jens Beeck, Dr. Jens Brandenburg (Rhein-Neckar), Mario Brandenburg, Sandra Bubendorfer-Licht, Dr. Marco Buschmann, Carl-Julius Cronenberg, Britta Katharina Dassler, Dr. Marcus Faber, Daniel Föst, Otto Fricke, Thomas Hacker, Reginald Hanke, Peter Heidt, Markus Herbrand, Torsten Herbst, Katja Hessel, Dr. Christoph Hoffmann, Reinhard Houben, Olaf in der Beek, Gyde Jensen, Dr. Christian Jung, Dr. Marcel Klinge, Dr. Lukas Köhler, Carina Konrad, Alexander Kulitz, Ulrich Lechte, Michael Georg Link, Till Mansmann, Alexander Müller, Dr. Martin Neumann, Matthias Nölke, Hagen Reinhold, Bernd Reuther, Christian Sauter, Frank Schäffler, Matthias Seestern-Pauly, Judith Skudelny, Hermann Otto Solms, Bettina Stark-Watzinger, Dr. Marie-Agnes Strack-Zimmermann, Benjamin Strasser, Katja Suding, Linda Teuteberg, Manfred Todtenhausen, Dr. Florian Toncar, Gerald Ullrich, Johannes Vogel (Olpe), Nicole Westig und der Fraktion der FDP Entwurf eines Gesetzes zur Weitergeltung von Rechtsverordnungen und Anordnungen aus der epidemischen Lage von nationaler Tragweite angesichts der Covid-19-Pandemie (Covid-19-Rechtsverordnungsweitergeltungsgesetz) A. Problem Die Corona-Pandemie erforderte im Frühjahr 2020 eine schnelle und pragmatische Reaktion aller staatlichen Ebenen. Von dem Virus ging und geht eine erhebliche Gefahr für die Gesundheit vieler Menschen aus. In den Monaten März und April 2020 drohte eine Überlastung des Gesundheitswesens, sodass auf allen staatlichen Ebenen Schutzmaßnahmen ergriffen werden mussten. Am 25. März 2020 beschloss der Deutsche Bundestag das Gesetz zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite. Durch dieses Gesetz wurde im Infektionsschutzgesetz (IfSG) die Möglichkeit der Feststellung einer sogenannten epidemischen Lage von nationaler Tragweite durch den Deutschen Bundestag verankert. Mit dieser Feststellung wird das Bundesministerium für Gesundheit etwa ermächtigt, durch Rechtsverordnungen ohne Zustimmung Vorabfassung – wird durch die lektorierte Fassung ersetzt. Drucksache 19/20042 – 2 – Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode des Bundesrates Maßnahmen zur Grundversorgung mit Arzneimitteln, einschließlich Betäubungsmitteln, Medizinprodukten, Hilfsmitteln, Gegenständen der persönlichen Schutzausrüstung und Produkten zur Desinfektion sowie zur Stärkung der personellen Ressourcen im Gesundheitswesen zu treffen und verschiedene Anordnungen zu treffen. Der Deutsche Bundestag stellte das Vorliegen einer solchen epidemischen Lage von nationaler Tragweite sogleich am 25. März 2020 fest. Nach § 5 Absatz 1 Satz 2 IfSG hebt der Bundestag die Feststellung der epidemischen Lage von nationaler Tragweite wieder auf, wenn die Voraussetzungen für ihre Feststellung nicht mehr vorliegen. Dies ist inzwischen der Fall. Dem Deutschen Bundestag liegt ein entsprechender Antrag vor (BT-Drs. 19/20046). Die Bundesregierung hat die ihr in § 5 Absatz 2 IfSG eingeräumten Anordnungs- und Verordnungsermächtigungen seit der Feststellung der epidemischen Lage von nationaler Tragweite jedoch umfangreich genutzt. Fast alle erlassenen Rechtsverordnungen treten mit Aufhebung der epidemischen Lage von nationaler Tragweite nach § 5 Absatz 4 Satz 1 IfSG außer Kraft. Getroffene Anordnungen gelten nach § 5 Absatz 4 Satz 4 als aufgehoben. Hierzu zählen auch weiter erforderliche Regelungen, etwa zur Unterstützung von medizinischen oder pflegerischen Einrichtungen. Die entsprechenden Regelungen sind außerhalb einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite vom parlamentarischen Gesetzgeber zu treffen. Um ein entsprechendes Gesetzgebungsverfahren durchzuführen, muss eine Übergangsregelung geschaffen werden, mit der die aufgrund der Feststellung der epidemischen Lage von nationaler Tragweite erlassenen Rechtsverordnungen und Anordnungen bis zum 30. September 2020 in Kraft bleiben. B. Lösung Der § 5 Abs. 4 Satz 1, Halbsatz 1 IfSG, nach dem Rechtsverordnungen, die auf Grund des § 5 Absatz 2 oder § 5a Absatz 2 erlassen worden sind, mit Aufhebung der Feststellung der epidemischen Lage von nationaler Tragweite außer Kraft treten, und § 5 Abs. 4 Satz 4 Halbsatz 1, nach dem Anordnungen, die aufgrund von § 5 Abs. 2 IfSG getroffen worden sind, mit Aufhebung der Feststellung der epidemischen Lage von nationaler Tragweite als aufgehoben gelten, werden befristet bis zum 30. September 2020 aufgehoben. Die aufgrund § 5 Absatzes 2 oder § 5a Absatz 2 IfSG erlassenen Rechtsverordnungen und getroffenen Anordnungen bleiben bis dahin in Kraft, wenn sie nicht vorher vom Bundesgesundheitsminister aufgehoben werden. C. Alternativen Der Deutsche Bundestag könnte darauf verzichten, die Feststellung der epidemischen Lage von nationaler Tragweite aufzuheben. Das Parlament ist jedoch nach § 5 Absatz 1 Satz 2 IfSG verpflichtet, die Feststellung aufzuheben, wenn ihre Voraussetzungen nicht mehr vorliegen. Eine solche Rückholpflicht des Bundestages durch den Beschluss, dass die epidemische Lage von nationaler Tragweite nicht mehr besteht, ergibt sich auch aus dem Grundgesetz. Der Bundestag ist aus dem Grundsatz der Gewaltenteilung heraus verpflichtet, seine Aufgaben gegenüber der Exekutive wahrzunehmen. Außerdem ermöglicht die Feststellung der epidemischen Lage von nationaler Tragweite dem Bundesministerium für Gesundheit den Erlass weitreichender RechtsVorabfassung – wird durch die lektorierte Fassung ersetzt. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 3 – Drucksache 19/20042 verordnungen im Sinne von Artikel 80 des Grundgesetzes. Angesichts der weitreichenden Entscheidungsbefugnisse für die Exekutive muss die entsprechende Rechtssetzung wieder durch Parlamentsgesetze erfolgen, wenn die Voraussetzungen einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite nicht mehr vorliegen. Wird die Aufhebung der Feststellung einer epidemischen Lage von nationaler Trageweite beschlossen und gelten der § 5 Abs. 4 Satz 1, Halbsatz 1 IfSG und § 5 Abs. 4 Satz 4 Halbsatz 1 weiter, treten die aufgrund von § 5 Abs. 2 IfSG erlassenen Anordnungen und Verordnungen außer Kraft. Da diese weiterhin erforderlich sind, ist dies keine Alternative. D. Haushaltsausgaben ohne Erfüllungsaufwand Es entsteht gegenüber dem Fortbestehen der epidemischen Lage von nationaler Tragweite keine Haushaltsausgaben ohne Erfüllungsaufwand für die Gesetzliche Krankenversicherung sowie Bund, Länder und Kommunen. E. Erfüllungsaufwand Es entsteht gegenüber dem Fortbestehen der epidemischen Lage von nationaler Tragweite kein zusätzlicher Erfüllungsaufwand für die Bürgerinnen und Bürger, die Wirtschaft und die Verwaltung. Vorabfassung – wird durch die lektorierte Fassung ersetzt. Drucksache 19/20042 – 4 – Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode Entwurf eines Gesetzes zur Weitergeltung von Rechtsverordnungen und Anordnungen aus der epidemischen Lage von nationaler Tragweite angesichts der Covid-19-Pandemie (Covid-19-Rechtsverordnungsweitergeltungsgesetz) Vom … Der Bundestag hat mit Zustimmung des Bundesrates das folgende Gesetz beschlossen: Artikel 1 Änderung des Infektionsschutzgesetzes Das Infektionsschutzgesetz vom 20. Juli 2000 (BGBl. I S. 1045), das zuletzt durch Artikel 2 des Gesetzes vom 19. Mai 2020 (BGBl. I S. 1018) geändert worden ist, wird wie folgt geändert:. § 5 Abs. 4 wird wie folgt gefasst: “Eine auf Grund des Absatzes 2 oder § 5a Absatz 2 erlassene Rechtsverordnung tritt spätestens mit Ablauf des 31. März 2021 außer Kraft. Abweichend von Satz 1 bleibt eine Übergangsregelung in der Verordnung nach Absatz 2 Nummer 7 Buchstabe b, Buchstabe c oder Buchstabe d bis zum Ablauf der Phase des Studiums in Kraft, für die sie gilt. Abweichend von Satz 1 ist eine Verordnung nach Absatz 2 Nummer 10 auf ein Jahr nach Aufhebung der Feststellung der epidemischen Lage von nationaler Tragweite, spätestens auf den Ablauf des 31. März 2022 zu befristen. Nach Absatz 2 getroffene Anordnungen gelten mit Ablauf des 31. März 2021 als aufgehoben. Eine Anfechtungsklage gegen Anordnungen nach Absatz 2 hat keine aufschiebende Wirkung.” Artikel 2 Weitere Änderung des Infektionsschutzgesetzes Das Infektionsschutzgesetz vom 20. Juli 2000 (BGBl. I S. 1045), das zuletzt durch Artikel 2 des Gesetzes vom 19. Mai 2020 (BGBl. I S. 1018) geändert worden ist, wird wie folgt geändert:. § 5 Abs. 4 wird wie folgt gefasst: “Eine auf Grund des Absatzes 2 oder § 5a Absatz 2 erlassene Rechtsverordnung tritt mit Aufhebung der Feststellung der epidemischen Lage von nationaler Tragweite außer Kraft, ansonsten spätestens mit Ablauf des 31. März 2021. Abweichend von Satz 1 bleibt eine Übergangsregelung in der Verordnung nach Absatz 2 Nummer 7 Buchstabe b, Buchstabe c oder Buchstabe d bis zum Ablauf der Phase des Studiums in Kraft, für die sie gilt. Abweichend von Satz 1 ist eine Verordnung nach Absatz 2 Nummer 10 auf ein Jahr nach Aufhebung der Feststellung der epidemischen Lage von nationaler Tragweite, spätestens auf den Ablauf des 31. März 2022 zu befristen. Nach Absatz 2 getroffene Anordnungen gelten mit Aufhebung der Feststellung der epidemischen Lage von nationaler Tragweite als aufgehoben, ansonsten mit Ablauf des 31. März 2021. Eine Anfechtungsklage gegen Anordnungen nach Absatz 2 hat keine aufschiebende Wirkung.” Vorabfassung – wird durch die lektorierte Fassung ersetzt. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 5 – Drucksache 19/20042 Artikel 3 1. Artikel 1 dieses Gesetzes tritt am Tag nach der Verkündung des Gesetzes in Kraft. 2. Artikel 2 dieses Gesetzes tritt am 1. Oktober 2020 in Kraft. Berlin, den 16. Juni 2020 Christian Lindner und Fraktion Vorabfassung – wird durch die lektorierte Fassung ersetzt. Drucksache 19/20042 – 6 – Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode Begründung A. Allgemeiner Teil I. Zielsetzung und Notwendigkeit der Regelungen Die Bundesregierung hat die ihr in § 5 Absatz 2 IfSG eingeräumten Anordnungs- und Verordnungsermächtigungen seit der Feststellung der epidemischen Lage von nationaler Tragweite umfangreich genutzt und zahlreiche Rechtsverordnungen erlassen und Anordnungen getroffen. Mit der Aufhebung der Feststellung der epidemischen Lage von nationaler Tragweite würden die aufgrund dieser Vorschrift erlassenen Rechtsverordnungen nach § 5 Abs. 1 Satz 1 IfSG außer Kraft treten, Anordnungen, die aufgrund dieser Vorschrift erlassen worden sind, gälten nach § 5 Abs. 1 Satz 4 IfSG als aufgehoben. Die beträfe folgende Verordnungen und Anordnungen: 1. Verordnung zur Abweichung von der Approbationsordnung für Ärzte bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite vom 30.03.2020, BAnz AT 31.03.2020 V1. 2. Verordnung zur Aufrechterhaltung und Sicherung intensivmedizinischer Krankenhauskapazitäten (DIVI Intensiv-Register-Verordnung) vom 08.04.2020, BAnz AT 09.04.2020 V1; geändert durch die Erste Verordnung zur Änderung der DIVI Intensiv-Register-Verordnung v. 29.05.2020, BAnz AT 02.06.2020. 3. Verordnung zur Beschaffung von Medizinprodukten und persönlicher Schutzausrüstung bei der durch das Coronavirus SARS-CoV-2 verursachten Epidemie, vom 08.04.2020, BAnz AT 09.04.2020 V3. 4. Verordnung über Abweichungen von den Vorschriften des Fünften Buches Sozialgesetzbuch, des Apothekengesetzes, der Apothekenbetriebsordnung, der Arzneimittelpreisverordnung, des Betäubungsmittelgesetzes und der Betäubungsmittel-Verschreibungsverordnung infolge der SARS-CoV-2-Epidemie (SARS-CoV2-Arzneimittelversorgungsverordnung) vom 20.04.2020; BAnz AT 21.04.2020 V1. 5. Verordnung zum Ausgleich COVID-19 bedingter finanzieller Belastungen der Zahnärztinnen und Zahnärzte, der Heilmittelerbringer und der Einrichtungen des Müttergenesungswerks oder gleichartigen Einrichtungen sowie zur Pflegehilfsmittelversorgung (COVID-19-Versorgungsstrukturen-Schutzverordnung – COVID-19- VSt-SchutzV) vom 30.04.2020, BAnz AT 04.05.2020 V1. 6. Verordnung zur Sicherstellung der Versorgung der Bevölkerung mit Produkten des medizinischen Bedarfs bei der durch das Coronavirus SARS-CoV-2 verursachten Epidemie (Medizinischer Bedarf Versorgungssicherstellungsverordnung – MedBVSV) vom 25.05.2020 BAnz AT 26.05.2020 V1. 7. Verordnung zum Anspruch auf bestimmte Testungen für den Nachweis des Vorliegens einer Infektion mit dem Coronavirus SARS-CoV-2, vom 09.06.2020 BAnz AT 09.06.2020 V1 8. Anordnungen gemäß § 5 des Infektionsschutzgesetzes nach Feststellung einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite durch den Deutschen Bundestag, vom 31.03.2020, veröffentlicht auf https://www.bundesgesundheitsministerium.de/fileadmin/Dateien/3_Downloads/C/Coronavirus/Anordnung_BMG_31._Maerz_2020.pdf 9. Anordnungen gemäß § 5 des Infektionsschutzgesetzes nach Feststellung einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite durch den Deutschen Bundestag, vom 08.04.2020 BAnz AT 09.04.2020 B Die Verordnungen und Anordnungen sind jedoch vorübergehend notwendig, um Planungs- und Rechtssicherheit für die betroffenen Akteure im Gesundheitswesen zu gewährleisten. Insbesondere die Sicherstellung der KapaziVorabfassung – wird durch die lektorierte Fassung ersetzt. Deutscher Bundestag – 19. Wahlperiode – 7 – Drucksache 19/20042 täten in der medizinischen Versorgung wie auch Gewährleistung der Rettungsschirme für verschiedene Leistungserbringer sind weiterhin notwendig. Auch die bereits stattfindende Ausweitung der Testungen muss sowohl für die zu testenden asymptomatischen Personen wie für die zuständigen Stellen des Öffentlichen Gesundheitsdienstes ohne Verwerfungen fortgesetzt werden können. Allerdings müssen die in den Verordnungen geregelten Materien durch den parlamentarischen Gesetzgeber durch Gesetz geregelt werden. Für einen Übergangszeitraum bis zum 30. September 2020 müssen die Verordnungen jedoch weiter gelten, um ein entsprechendes Gesetzgebungsverfahren durchzuführen. II. Wesentlicher Inhalt des Entwurfs Das vorliegende Gesetz setzt den § 5 Abs. 4 Satz 1, Halbsatz 1 und den § 5 Abs. 4 Satz 4 Halbsatz 1 außer Kraft und ab dem 1. Oktober 2020 wieder in Kraft. Für diesen Zeitraum bleiben die aufgrund von § 5 Abs. 2 IfSG erlassenen Verordnungen in Kraft und auch aufgrund von § 5 Abs. 2 IfSG erlassene Anordnungen bleiben bestehen, sofern sie nicht vom Bundesgesundheitsminister aufgehoben werden. Bei den auf § 5 Abs. 2 S. 1 Nr. 1, 2 und 6 IfSG gestüzten Anordnungen handelt es sich um Verwaltungsakte in Gestalt von Allgemeinverfügungen (§ 35 S. 2 VwVfG). Ein Verwaltungsakt bleibt nach § 43 Abs. 2 VwVfG wirksam, solange und soweit er nicht zurückgenommen, widerrufen, anderweitig aufgehoben oder durch Zeitablauf oder auf andere Weise erledigt ist. Auch eine nachträgliche Änderung der für den Erlass des Verwaltungsakts maßgeblichen Sach- oder Rechtslage lässt die Wirksamkeit des Verwaltungsakts grundsätzlich unberührt. Die Anordnungen bleiben also wirksam, auch wenn mit der Aufhebung der Feststellung der epidemischen Lage von nationaler Tragweite die Tatbestandsvoraussetzungen der Ermächtigungsgrundlage weggefallen sind. Auch bezüglich Rechtsverordnungen geht das Bundesverfassungsgericht davon aus, dass das nachträgliche Erlöschen oder die nachträgliche Änderung der gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage keinen Einfluss auf den Bestand der auf ihr beruhenden Rechtsverordnung haben (BVerfGE 9, 3 (12); vgl. auch BVerfGE 78, 179 (198). Im Schrifttum wird dem teilweise entgegengehalten, dass Gesetz und Rechtsverordnung eine funktionale und normative Einheit bildeten und daher das gleiche rechtliche Schicksal teilten (Michael Nierhaus, in: Wolfgang Kahl/Christian Waldhoff/Christian Walter (Hrsg.), Bonner Kommentar zum Grundgesetz, Art. 80 [1998] Rn. 398; Fritz Ossenbühl, Rechtsverordnung, in: Josef Isensee/Paul Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts Bd. V, 3. Aufl. 2007, § 103 Rn. 77. Kritisch auch Bodo Pieroth, in: Hans D. Jarass, Grundgesetz. Kommentar, 15. Aufl. 2018, Art. 80 Rn. 21). Allerdings sind auch die Kritiker der Rechtsprechung der Auffassung, dass eine Rechtsverordnung grundsätzlich in Kraft bleibt, wenn sich lediglich die tatsächlichen Voraussetzungen geändert haben, die gesetzliche Ermächtigung selbst aber in Kraft geblieben ist; es wird dann allerdings eine Aufhebungspflicht postuliert (Michael Nierhaus, in: Wolfgang Kahl/Christian Waldhoff/Christian Walter (Hrsg.), Bonner Kommentar zum Grundgesetz, Art. 80 [1998] Rn. 399; Fritz Ossenbühl, Rechtsverordnung, in: Josef Isensee/Paul Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts Bd. V, 3. Aufl. 2007, § 103 Rn. 77). Der Gesetzgeber ist aufgefordert. dieser Aufhebungspflicht nachzukommen und die Verordnungen durch im parlamentarischen Gesetzgebungsverfahren erlassene Gesetze zu ersetzen. Um in der Zwischenzeit den Regelungsgehalt der Maßnahmen zur Grundversorgung mit Arzneimitteln, einschließlich Betäubungsmitteln, Medizinprodukten, Hilfsmitteln, Gegenständen der persönlichen Schutzausrüstung und Produkten zur Desinfektion sowie zur Stärkung der personellen Ressourcen im Gesundheitswesen zu erhalten, ist eine Übergangsfrist bis zum 30. September gewährt. Am 1. Oktober treten die aufgrund von § 5 Abs. 2 IfSG erlassenen Verordnungen außer Kraft, die aufgrund von § 5 Abs. 2 IfSG erlassenen Anordnungen gelten als aufgehoben, wenn sie bis dahin nicht durch den Bundesgesundheitsminister aufgehoben worden sind. III. Alternativen Keine. … zum Weiterlesen bitte folgenden Link anklicken….
Dienstag 16. Juni 2020
Berliner Missbrauchsskandal:Mächtiges Netzwerk der Pädophilen reicht weit in die Behörden
Jahrzehntelang wurden Pflegekinder in Berlin an Sexualstraftäter gegeben. Jetzt bestätigt ein Gutachten: Es hat viele Unterstützer und Mitwisser gegeben – in Jugendämtern, der Verwaltung, der Freien Universität und dem Max-Planck-Institut.
15.6.2020 – 15:57 , Annika Leister
BerlinDrei Jahrzehnte lang konnte der Sexualstraftäter Fritz H. als Pflegevater in Berlin ungestört mindestens neun Kinder missbrauchen und vergewaltigen. Vermittelt wurden ihm die oft erst sechs oder sieben Jahre alten Jungen von Berliner Jugendämtern, geschützt wurde H. von dem bei der Senatsverwaltung hoch angesehenen Pädagogik-Professor Helmut Kentler. Trotz einer Vorstrafe wegen Kindesmissbrauchs wählten die Jugendämter Fritz H. immer wieder als Pflegevater aus. Und trotz teils extremer Warnzeichen ließen sie die Kinder über Jahre bei ihm. Die ersten Pflegekinder kamen Anfang der 70er, die letzten verließen die Pflegestelle erst 2003 als junge Erwachsene. Sie sind schwer traumatisiert, ein normales Leben ist ihnen nicht möglich. Und manche überlebten gar nicht: Ein schwerbehinderter Junge starb in Fritz H.s Obhut. Akten der Jugendämter belegen das, sie liegen der Berliner Zeitung in Kopie vor.Missbrauchte PflegekinderDer Kinderfänger von Berlin
Die Opfer fordern Gerechtigkeit. Zwei von ihnen haben Klage gegen das Land erhoben. Sie wollen vom Gericht bestätigt bekommen, dass es sich bei dem jahrzehntelangen Missbrauch um Missbrauch mit System handelt, der von Bildungsverwaltung und den Jugendämtern in den Bezirken toleriert und unterstützt wurde. Sie fordern Schmerzensgeld und Schadensersatz. Der rot-rot-grüne Senat aber verwehrte den Opfern bisher den Prozess – indem er ankündigte, eine sogenannte Einrede wegen Verjährung einlegen zu wollen.
Neues Kentler-Gutachten: „Kindeswohlgefährdung in öffentlicher Verantwortung“
Jetzt aber gibt es ein neues Gutachten zum Wirken des in Berlin so beliebten Päderasten-Gurus Helmut Kentler und zur Pflegestelle Fritz H. Beide Männer sind bereits verstorben, ohne dass ihnen je der Prozess gemacht wurde. Das neue Gutachten bestätigt die Perspektive der Opfer. Sein abschließendes Kapitel trägt die Überschrift: „Kindeswohlgefährdung in öffentlicher Verantwortung“. Der 57-seitige Bericht lässt außerdem erahnen, wie groß und mächtig das Netzwerk der Pädophilen in Berlin war, wie es sich auf das ganze Bundesgebiet ausdehnte – und wie wenig von all dem bis heute aufgeklärt ist.
Mehr als ein Jahr lang haben Experten der Universität Hildesheim die Akten untersucht, die der Senatsbildungsverwaltung schon immer vorlagen, die sie aber nie selbst untersuchte. Die Experten für Strukturen der Jugendhilfe und Kindesmissbrauch ziehen in ihrem Bericht das Fazit: In den Akten der Jugendämter Kreuzberg und Tempelhof-Schöneberg zur Pflegestelle Fritz H. „finden sich viele schwache und starke Signale“, die zu einer Beendigung der Pflegestelle hätten führen müssen und auf „Verfehlungen gegen die Vorschriften zur Pflegekinderhilfe“ hinweisen. Mehr als 50 Fachkräfte seien an der Fallführung beteiligt gewesen.
Das totale Versagen der Jugendhilfe war mehr als Versagen, befinden die Forscher. Ein zentrales Ergebnis ihrer Untersuchung sei, dass ein „Netzwerk von Akteuren in der Senatsverwaltung und Institutionen der Bildungsreformen während der Heimreform der 70er-Jahre die Einrichtung von Wohngemeinschaften und Pflegestellen bei pädophilen Männern nicht nur geduldet, sondern in der Fallverantwortung begleitet und verantwortet haben muss“, resümierte das Projektteam bei einer Pressekonferenz am Montag.
Es habe „ein Netzwerk quer durch die wissenschaftlichen pädagogischen Einrichtungen und die Senatsverwaltung bis hinein in einzelne Berliner Bezirksjugendämter“ gegeben, „in dem pädophile Positionen akzeptiert, gestützt und verteidigt wurden“. Explizit benennen die Forscher neben der Senatsverwaltung und den Jugendämtern dabei auch die Freie Universität, das Max-Planck-Institut, das inzwischen nicht mehr existente Pädagogische Zentrum in Berlin sowie das Pädagogische Seminar Göttingen. Auch Verbindungen zwischen der Senatsverwaltung und der Odenwaldschule seien nachweisbar, wo unter und von Schulleiter Gerold Becker Kinder über Jahrzehnte systematisch missbraucht wurden.
Berliner Jugendämter richteten Pflegestellen bei Pädophilen auch in anderen Bundesländern ein
Das Pädophilen-Netzwerk durchsetzte nicht nur Berliner Bildungsinstitutionen, sondern verzweigte sich ins ganze Land. Es gebe „deutliche Hinweise eines Betroffenen und von verschiedenen Zeitzeugen“, dass es auch außerhalb der Pflegestelle Fritz H. und außerhalb Berlins zu Kindeswohlgefährdungen in „Jugendwohneinrichtungen und Pflegestellen gekommen sein kann, die nach Jugendwohlfahrtgesetz in der Verantwortung des (Berliner) Landesjugendamtes und von Berliner Bezirksjugendämtern eingerichtet wurden“. Diese Pflegestellen seien durch das Land Berlin und dessen Jugendämter „nicht nur in West-Berlin, sondern im gesamten Bundesgebiet verantwortet und dort auch von lokalen Jugendämtern übernommen“ worden.
Auch diese Pflegestellen seien nicht auf die 70er-Jahre begrenzt gewesen. Die Forscher räumen auch mit einem anderen weit verbreiteten Irrtum auf: Es habe sich bei den pädophilen Pflegevätern nicht ausschließlich um „Hausmeister“ gehandelt, wie von Helmut Kentler mehrfach behauptet. „Die bisherigen Hinweise verdichten sich, dass es sich bei diesen Pflegestellen um alleinlebende, mitunter mächtige Männer (…) aus Wissenschaft, Forschungseinrichtungen und anderen pädagogischen Kontexten gehandelt hat.“
Kentler war mit Senatoren bekannt, verfasste Gutachten, beeinflusste die Politik
Prominenteste Figur im Netzwerk in Berlin war Sozialpädagogik-Professor Helmut Kentler. Er wurde in den 60er- und 70er-Jahren als Wegbereiter einer revolutionären, emanzipatorischen Sexualpädagogik gefeiert. Kentler forderte in seinen Fachpublikationen unter anderem Straffreiheit für Pädosexuelle und propagierte Sex mit Kindern als notwendigen Teil einer gesunden Sexualerziehung. In Berlin genoss Kentler großes Ansehen und hatte enormen Einfluss: Er war persönlich mit Senatoren und Politikern bekannt, verfasste im Auftrag des Senats Gutachten und war von 1966 bis 1974 Abteilungsleiter der Abteilung Sozialpädagogik und Erwachsenenbildung beim Pädagogischen Zentrum.
Die Rolle des vom Berliner Senat eingerichteten Pädagogischen Zentrums heben die Forscher explizit hervor. Gegründet wurde die Institution im Februar 1965 unter dem Regierenden Bürgermeister und späteren Kanzler Willy Brandt (SPD) – der das Vorhaben laut den Hildesheimern Forschern stark unterstützte. Das Pädagogische Zentrum hatte explizit den Auftrag, Bildungs- und Sozialreformen anzuregen, sollte Theorie mit Praxis verknüpfen und in Zusammenarbeit mit anderen Institutionen wie dem Max-Planck-Institut neue Unterrichtsformen für das Land Berlin entwickeln.
Doch: So groß das Renommee und Budget des Pädagogischen Zentrums, so vage sei der Arbeitsauftrag formuliert gewesen, stellt die Hildesheimer Forschergruppe fest. Kentler wusste das perfekt für sich zu nutzen. Der Beginn des von ihm angestifteten, systematischen Kindesmissbrauchs in einer bis heute vollkommen unbekannten Zahl von Pflegestellen wird in der aktuellen Forschung auf 1969/1970 datiert – und fällt damit genau in die Schaffenszeit Kentlers beim Pädagogischen Zentrum.
In Schreiben an die Senatsverwaltung, auch in schützenden Gutachten für den pädophilen Pflegevater Fritz H., betonte Kentler immer wieder seine Rolle als Experte, der mit der Praxis wohlbekannt sei. Aus Kentlers Stellung als Abteilungsdirektor beim Pädagogischen Zentrum habe sich dessen Reputation ergeben, so die Hildesheimer Forscher, die wiederum ein, wenn nicht der entscheidende Faktor gewesen sei, warum die Behörden das Leid der Kinder in der Pflegestelle H. komplett ignorierten.
Während vieles im Vagen und Unklaren liegt, ist die politische Verantwortung für das Pädagogische Zentrum eindeutig belegbar, auch das arbeiten die Forscher ausführlich heraus. Willy Brandt unterstellte das Zentrum damals als nachgeordnete Dienststelle direkt dem Schul- und Bildungssenator Carl-Heinz Evers (SPD); Mitspracherecht hatten laut den Forschern aber auch der Senator für Jugend und Sport – 1965 war das Kurt Neubauer (SPD) – und der Senator für Arbeit und soziale Angelegenheiten – 1965 Kurt Exner (SPD). Dieser Dreiklang sei in den Akten „interessanterweise handschriftlich vermerkt“, bemerken die Hildesheimer Forscher. Im Laufe der Zeit wechselten die Senatoren und Parteien. Unbestreitbar aber sei: Das Pädagogische Zentrum sei „eindeutig“ als nachgeordnete Behörde des Senats ausgewiesen.
Wie viele Leben noch zerstört wurden, bleibt nach wie vor unklar
Wie viele Leben der Senat, Kentler und seine Freunde so noch zerstört haben? Wie viele Opfer und wie viele Täter es gibt? Wann und ob der systematische Missbrauch überhaupt endete? Wer der Junge war, der in Fritz H.s Obhut starb? Ob seine Familie je von seinem Tod erfahren hat?
All diese Fragen können die Hildesheimer Experten auch nach mehr als einem Jahr Recherche nicht beantworten. Immer wieder verweisen sie in ihrem 57-seitigen Bericht auf den weiterhin bestehenden massiven Aufklärungsbedarf. Ihre Schlussfolgerungen für diesen Bericht ziehen sie unter anderem aus dem Studium der Fallakten der Jugendämter, aus Gesprächen mit Zeitzeugen, auch aus den Behörden – und aus Gesprächen mit drei Betroffenen, zwei davon aus Fritz H.s Pflegestelle.
Die Hildesheimer Forschergruppe betont auf der Pressekonferenz die wichtige Rolle der bisher einzigen drei aussagebereiten Opfer des nach Schätzung der Experten riesigen Pädophilen-Netzwerks. Die nun vorliegenden Erkenntnisse seien vor allem den beiden Betroffenen Marco und Sven zu verdanken, die gerade gegen das Land klagen, „ihrem Mut und ihrer Hartnäckigkeit“.
Vier Jahre lang haben Marco und Sven bis zu diesem Punkt gekämpft. Sie haben ihre Traumata neu durchleben müssen, sie sind zeitweise beinahe darunter zusammengebrochen. Sie haben zuerst die Senatsbildungsverwaltung kontaktiert, dann einen Anwalt, sie haben schließlich auch die Medien angesprochen, um irgendwie Aufmerksamkeit zu erhalten für ihren Fall.
Betroffener Marco: „Da fehlen die Namen von denen, die noch verantwortlich sind.“
Für Marco und Sven ist der Bericht der Hildesheimer Forschergruppe wichtig. Ein weiteres Gutachten, das ihre Geschichte bestätigt. Doch es ist nicht das erste – und nichts, was in dem Bericht steht, ist für die beiden neu. „Wir haben all das ja gewusst, wir haben all das erlebt“, sagt Marco der Berliner Zeitung am Montag. Was ihn am meisten stört: „Da fehlen weiterhin die Namen. Die Namen von all denen, die noch verantwortlich sind.“
Auch die Forschungsgruppe empfiehlt dringend, dass weitergegraben wird. „Im Keller der Bildungsverwaltung liegen noch circa 1000 Akten, die noch nicht aufgearbeitet wurden“, sagt Wolfgang Schröer, Hildesheimer Experte für Jugendhilfe und Mitglied der Studiengruppe.
Wie aufgeschlossen die Bildungsverwaltung für weitere Studien in Bezug explizit auf die eigene Verantwortung ist, muss sich allerdings erst noch zeigen. SPD-Bildungssenatorin Sandra Scheeres betonte auf der Pressekonferenz am Montag: Der Skandal reiche „lange in die Vergangenheit zurück“ und sei für die Betroffenen doch nie vorbei. Fritz H.s Pflegestelle aber wurde erst 2003 geschlossen.
Das Netzwerk sei offenbar sehr groß, betonte Scheeres, man wolle jetzt auch unbedingt stärker mit Akteuren auf Bundesebene zusammenarbeiten und habe außerdem eine Untersuchung der aktuellen Jugendhilfe-Strukturen in Auftrag gegeben. Marco und Sven wolle der Senat nun, nach vier Jahren Kampf, „Gespräche über eine finanzielle Entschädigung“ anbieten. Aber 1000 Akten öffnen? Konzentriert die Rolle der eigenen Verwaltung und vielleicht auch der Berliner Parteien in diesem Netzwerk untersuchen? Davon sagte Scheeres nichts.
Marco und Sven aber wollen mehr. Auch wenn ihre Hoffnung nach all der Zeit nur noch klein ist. Sie fordern weiter eine komplette Aufarbeitung, tief hinein in die Berliner Behörden. Und Konsequenzen für die Angestellten, die für ihre Pflegestelle verantwortlich waren. Rentenkürzungen oder wenigstens ein Benennen ihrer persönlichen Schuld, sagt Marco. Sie haben eine Pressemitteilung aufgesetzt, mit zehn Forderungen an den Senat. Sie endet mit dem Satz: „Wer das Schweigen bricht, bricht die Macht der Täter.“