»Die Politik nimmt uns nicht ernst«: PEGIDA wächst auf 15.000                                 (Artikel vom 16.12.20014)

Markus Gärtner

 

Dresden dreigeteilt. Während am Montagabend in der sächsischen Landeshauptstadt Touristen und lokale Besucher unter dem Riesenrad am »Striezelmarkt« Glühwein und Bratwürste genießen, ziehen über 20 000 Demonstranten friedlich und von 1300 Polizisten getrennt an dem berühmten Weihnachtsmarkt vorbei.

 

 

Ein vom Alter her bunt gemischtes, aber meist männliches Publikum rechts vom Markt in Richtung Skatepark, wo sich 15 000 Menschen dem neunten Protestmarsch der Patriotischen Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes (PEGIDA) anschließen. Das sind 50 Prozent mehr als beim bisherigen Rekord vor einer Woche. Links vorbei zur Semperoper strömen die knapp 6000 meist jungen Demonstranten, die unter dem Motto »Dresden für alle« an der mittlerweile üblichen Gegendemonstration teilnehmen. Die ist allerdings an diesem Montag um ein Drittel gegenüber der Vorwoche geschrumpft. Der Gegendemonstration schlossen sich gestern auch die Bundesvorsitzenden der Grünen, Simone Peter und Cem Özdemir an.

Einem frisch angereisten Münchner, der sich an der Altmarkt-Galerie bei zwei Studenten nach dem Weg zum Treffpunkt der PEGIDA-Bewegung erkundigt, wird mit dem Zeigefinger die Richtung angedeutet: »Die Arschlöcher sind da hinten«, heißt es knapp und abschätzig.

Keine Frage: Die schroff einseitige Berichterstattung in den Leitmedien – sowie ständige Attacken führender Politiker auf PEGIDA – hat die Stimmung im Land aufgeheizt. Bundespräsident Joachim Gauck hat die PEGIDA-Teilnehmer als »Chaoten« bezeichnet. Justizminister Heiko Maas betrachtet sie als eine »Schande«. Und NRW-Innenminister Ralf Jäger sieht in den Organisatoren der PEGIDA-Bewegung »Neonazis in Nadelstreifen«. Doch nach einem rechten Aufmarsch sieht es am Skatepark trotz einiger kurz geschorener Köpfe nicht aus, als um kurz nach 18:30 Uhr eine friedliche Menge mit auffallend vielen älteren Menschen und Ehepaaren sich um die »Cityherberge« schart, um der Ansprache von PEGIDA-Chef Lutz Bachmann zu lauschen.

Die vehement einseitige Kritik der vergangenen Tage, so scheint es, hat der Bewegung mehr Zulauf beschert. »Nachdem die Leitmedien in der vorigen Woche so auf uns eingedroschen haben«, erklärt ein grauhaariger, stämmiger Rentner aus Berlin, »kommen wir diesmal erst recht«. Der Mann ist am Abend mit seiner Frau 260 Kilometer weit angereist, um zum zweiten Mal in drei Wochen an der PEGIDA-Kundgebung teilzunehmen. Er beklagt sich über offenen Drogenverkauf auf der Straße in Bezirken der deutschen Hauptstadt sowie über ausufernde Kriminalität im Grenzgebiet zu Polen. Bachmann warnt die Menge zur Begrüßung, es sollten Plakate mit verfassungsfeindlichen Sprüchen eingeschleust werden, die Teilnehmer sollten sie einfach der Polizei melden. Zahlreiche Teilnehmer in den hinteren Reihen – etwa 50 Meter vom Redner entfernt – rufen im Chor »lauter, lauter«, weil Bachmann kaum zu verstehen ist. Mit Professionalität tut sich die junge Bewegung noch erkennbar schwer. Derweil zieht ein hagerer Mann Ende 40 mit einem Plakat durch die Reihen. Darauf hat er in großen schwarzen Buchstaben gekritzelt: »Es reicht dem deutschen Volke.«

Ein Fernsehteam spricht ein Paar weiter hinten zum Interview an. Sofort skandieren die umstehenden Teilnehmer in einem lauter werdenden Chor: »Lügen-pres-se, Lügen-pres-se.« Während Bachmann spricht, unterhalten sich einige. Ein Mann, Mitte 50, in einem hellen Parka, beschwert sich: »Die Politik nimmt uns nicht ernst, die sollen uns den Scheiß nicht erklären, sie sollen die Politik ändern.« Viele hier sind wegen der Äußerung von Gesine Schwan am Vorabend in der Sendung bei Günther Jauch verärgert. Laut Schwan gibt es selbst in der bürgerlichen Mitte rechtes Gedankengut. »Ich wollte heute mal einen Rechtsradikalen sehen, habe aber keinen gefunden«, scherzt ein Mann mit schütterem braunem Haar. Er gibt sich als Vertriebsmitarbeiter bei einem lokalen Kraftwerksbauer in Dresden zu erkennen. »Zum ersten Mal habe ich nicht links gewählt«, erklärt er und findet, »dass Gauck und Merkel völlig abgehoben sind«. Was die Massenmedien in der vergangenen Woche über die PEGIDA-Demonstration berichtet hätten, sei »eine Schande«.

Ein groß gewachsener Mann mit Brille und schwarzer Lederjacke schimpft über die Welt und andere Mainstream-Zeitungen: »Das ist wie beim Neuen Deutschland«, sagt er, »die schreiben das genaue Gegenteil dessen, was wir erleben«. Während er sich beklagt, zieht ein weiterer Teilnehmer mit einem Plakat vorbei: »Alibaba und die 40 Dealer«, steht darauf, und: »Sofort ausweisen.« Eine ältere Frau fühlt sich von der Berichterstattung der vergangenen Tage persönlich angegriffen. »Wir sind nicht die Dumpfbacken, als die wir immer hingestellt werden«, protestiert sie und signalisiert mit ihrer Miene, dass sie auch diesmal zweifelt, ob sie richtig zitiert werden wird. Auf die Frage, welche Sorgen sie auf die Straße treiben, kommt eine ganze Serie von Beschwerden: »Die Kriminalität im Grenzgebiet zu Polen, eine unsägliche Renten- und Sozialpolitik, die Kriegstreiberei in der Ukraine.« Und dann der Satz, den man an diesem Abend noch öfter hört: »Die Leute haben es satt, sie werden nicht mehr gehört.«Aber all diese Klagen werden im Gespräch erstaunlich ruhig vorgetragen. Wie eine aufgebrachte, islamfeindliche Hass-Horde wirkt diese Menge nicht.Wie Wutbürger, die die Fäuste in den Taschen ballen, auch nicht. Dafür ist ihr politischer Puls nicht hoch genug. Zugegeben: Der Frust, der sich hier über die politische Kaste und die etablierten Massenmedien Luft macht, ist deutlich spürbar. Aber er wird nicht mit einer Wucht und Leidenschaft vorgetragen, die demnächst die Republik erschüttern kann. Anstehende Revolutionen sehen anders aus.

Trotzdem herrscht in Berlin und verschiedenen Landeshauptstädten seit Tagen helle Aufregung. Die hat wohl mehr mit der langsam dämmernden Erkenntnis zu tun, dass sich Parteien undRegierung vom Wahlvolk weit entfernt haben und hier einiges aufzuarbeiten haben. Dass das nun ein Thema wird, darf man PEGIDA als einen ersten Erfolg anrechnen.

Aber auch die Medien haben sich von ihrer Klientel entfernt und erleben ein schroffes Erwachen. Dem Spiegel war vor wenigen Tagen das Erschrecken über seine eigene Umfrage anzumerken, wonach 65 Prozent der Deutschen beklagen, dass die Regierungsparteien nicht ausreichend auf ihre Sorgen in Sachen Flüchtlingspolitik eingehen. Und laut einer Emnid-Umfrage für den Focus hat fast die Hälfte der Deutschen Verständnis für die PEGIDA-Demonstrationen. So groß kann eine rechte »Ecke« gar nicht sein. Das ist der Grund, warum jetzt selbst der bürgerlichen Mitte rechtes Gedankengut angedichtet wird.

 

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